Jüdische Friedhöfe Einführungsvortrag von Jutta Dick Voraussetzung für ein lebendiges Gemeinwesen ist das Recht, Tote bestatten zu können. Ohne dies kann sich keine menschliche Gemeinschaft entwickeln. Deshalb war das Recht auf Bestattung der Toten immer auch ein Herrschaftsmittel. Sophokles hat in seiner Tragödie Antigone die erste Dramatisierung des Konfliktes zwischen dem existentiellen Bedürfnis der Menschen nach Bestattung und staatlichen Interessen, die dem entgegen stehen, geliefert. Für Juden war über Jahrhunderte die Existenz bestimmt von dem gewährten oder nicht gewährten Recht der Bestattung. Schutzbriefe über die Niederlassung von Juden, die bis ins 19. Jahrhunderte hinein ausgestellt wurden, enthielten nicht selten das Verbot, Friedhöfe anzulegen. War es möglich, Gottesdienst in einer versteckt eingerichteten Betstube abzuhalten, im Keller eines Hauses unauffällig eine Mikwe, ein Ritualbad, einzurichten, so war es beinahe unmöglich, Tote zu bestatten, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Das Verbot, einen Friedhof anzulegen, war also die sicherste Garantie, eine dauerhafte Ansiedlung von Juden und das Wachsen bestehender Gemeinden zu verhindern. Häufig zeugt die Aufnahme des Friedhofsverbots in Schutzbriefen von einem Konflikt zwischen dem Territorialherrscher und der Bürgerschaft. Das Verbot war der Tribut, der den jüdische Konkurrenz fürchtenden Bürgern geleistet wurde. Vertreibungen von Juden zogen meist das Schleifen der Friedhöfe nach sich und oft auch die Verwendung von Grabsteinen für kirchliche oder weltliche Bauten. Markantes Zeugnis in der Region ist die Burg Hülchrath, deren Erbauer, der Erzbischof von Köln, Grabsteine des mittelalterlichen Kölner jüdischen Friedhofs als Baumaterial verwenden ließ. Der Turmhelm der Burg Hülchrath wird von jüdischen Grabsteinen getragen "Aktive" jüdische Friedhöfe zeugten also stets von der Lebendigkeit und Aktivität einer jüdischen Gemeinde. Ihre Existenz oder Nichtexistenz war Indikator für die Beziehung und Bedeutung in der christlichen Mehrheitsgesellschaft. Daher hat der deutsch-jüdische Begriff für den Friedhof, nämlich "der gute Ort" eine doppelte Bedeutung. Er impliziert das hebräische "Beth olam" - Haus der Ewigkeit - und zeigt gleichzeitig an, daß ein Friedhof nur dort ist, wo Menschen leben. Da der jüdische Friedhof ein "Haus der Ewigkeit" ist, d.h. Grabstätten dürfen nicht aufgehoben und neubelegt werden, kennen wir sehr alte Friedhofsanlagen, die älteste in Worms, deren frühester Stein mit 1076/77 datiert ist, und haben ein Bild davon. Vom Alter her vergleichbare christliche Friedhöfe gibt es nicht, so daß es schwer ist, zu sagen, ob das, was wir heute als spezifisch jüdisch wahrnehmen, es tatsächlich ist bzw. war. Oder es möglicherweise viel mehr Ähnlichkeiten zwischen jüdischen und christlichen Friedhöfen gab, als wir heute annehmen. Tatsächlich war bis ins 19. Jahrhundert hinein die Ausrichtung der Grabsteine nach Osten, nach Jerusalem, ein Spezifikum, das mit der Emanzipation der Juden verloren ging. Die Annäherung an die Lebens- und Vorstellungswelten der christlichen Mehrheitsgesellschaft bezog sich nicht nur auf die Gestaltung der Grabsteine, sondern auch auf die Anlage der Friedhöfe, die somit ihre strenge Symmetrie verloren. Allerdings gibt es auch frühe Beispiele für jüdische Friedhöfe, die grundsätzlich anders angelegt worden sind. Südlich von Xanten liegt eine ringförmige Begräbnisstätte, die um 1700 angelegt ist. Möglicherweise geht sie auf eine viel frühere Begräbnis- oder Kultstätte zurück. Die Steine entrollen sich in chronologischer Folge aus der innersten Mitte schneckenförmig nach außen. Auch die Tradition, den "Guten Ort" nicht wie eine Gartenanlage zu pflegen, sondern auch der Natur die Ruhe zu lassen, ging mehr und mehr verloren. Es finden sich auf Friedhöfen am Niederrhein zunehmend Grabeinfassungen. Eine Veränderung bedeutete auch die Errichtung von Leichenhallen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts ebenso verpflichtend war, wie die Einhaltung einer Dreitagesfrist zur Beerdigung. Diese Bestimmung entsprang der Erfahrung, daß auf den Schlachtfeldern des Krimkrieges viele schwer verwundete Soldaten lebend begraben worden waren, was in Folge eine regelrechte Hysterie auslöste. Jedoch lief diese Bestimmung der judischen Tradition rasch zu bestatten, entgegen und sollte zahlreiche Konflikte mit den Behörden hervorrufen, da von jüdischer Seite immer wieder versucht wurde, schnelle Beerdigungen durchzuführen. Die strenge Symmetrie der alten Friedhöfe entstand nicht nur durch die Ausrichtung der Grabsteine nach Osten. Typisch sind die Grabsteinstelen, die als Monolithen auf den Gräbern stehen. Aber sie sinken im Laufe der Zeit ab, erfahren eine Schräglage, vermoosen. Die strenge Symmetrie ist bewegt, die Gleichförmigkeit löst sich in Variationen auf. Heute sind die Grabsteine häufig von Efeu überwachsen, und dieses - als romantisch erfahrene - Bild prägt unsere Vorstellungen. Allerdings ruft dieser Umgang mit den Steinen, der sich an der Ruhe der Friedhöfe orientiert, bei jüdischen Besuchern häufig Unmut hervor. Sie kommen meist aus dem Ausland als Nachfahren aus Deutschland vertriebener oder ermordeter Juden, um die Gräber ihrer Vorfahren zu besuchen, und können sie wegen der Uberwachsungen der Grabsteine kaum manchmal auch gar nicht finden. Wir nehmen die Friedhöfe als etwas Besonderes und Wertvolles wahr. Es ist das Bemühen, "richtig" mit ihnen umzugehen, aber der unsichere Umgang mit ihnen verweist darauf, daß die deutsch-jüdische Tradition abgerissen ist. Die Vorfahren der heute in Deutschland lebenden Juden haben hier zumeist keine Gräber der Vorfahren. Deshalb gehört der Friedhofsbesuch zur Jahrzeit oder zu den Hohen Feiertagen nicht zum "normalen" Leben. Es gibt derzeit noch nicht wieder eine Normalität. Zurück zu den Grabsteinen. Jüdische Tradition sind Einzelbestattungen. Das Bild der Einheitlichkeit der Grabstellen wird nicht durch größere und breitere Erbbegräbisse und Familiengruften aufgebrochen. Das Durchhalten dieses Prinzips auch in der Zeit der Emanzipation mit der Aneignung der Vorstellungen der christlichen Mehrheitsgesellschaft verweist auf jüdische Gemeinden, die auch in dieser Zeit den traditionalen Formen treu blieben. Dem Wunsch Ehepaare oder Familien nah zu einander zu bestatten, wurde durch "Platzhaltersteine" nachgekommen, die z. T. noch erhalten sind, wenn diese Grabstellen aus welchen Gründen auch immer nie belegt wurden. Als Orte, die diesen Traditionen treu blieben, sind Xanten und Dinalaken zu nennen. Allerdings muß festgehalten werden, daß dies in dem Kontext der Abwanderung in die großen Städte zu bewerten ist, denn dort war in dem Bestreben Eintritt in die christliche Mehrheitsgesellschaft zu finden, die Auflösung der traditionalen Formen auch in stärkeren Maße auf den Friedhöfen festzustellen. Sowohl die Struktur der Friedhöfe wie auch die Gestaltung einzelner Grabstellen bezeichnen diese Entwicklung. Städtische jüdische Friedhöfe, wie in Essen, Düsseldorf - nicht Niederrhein - und Krefeld sind kaum mehr von den zeitgleichen christlichen zu unterscheiden. Dem Status der Familien entsprechend bestimmen wuchtige Familiengruften das Bild. Wenn man in Essen die Familiengruften der Krupps und ihrer frühen Bankiers, den Hirschlands, vergleicht, so scheint ein Wettbewerb zwischen den bedeutenden Familien der Stadt stattzufinden. An unterschiedlichen Orten, aber nah beieinander. Der Kruppsche Privatfriedhof lag im Stadtzentrum, direkt am Hauptbahnhof, der jüdische Friedhof im Segeroth, im Arbeiterviertel der Stadt, war nur wenige hundert Meter entfernt. Die Inschriften sind auch auf der Frontseite der Grabsteine deutsch, nicht nur wie es zunehmend mit dem Verlust der hebräischen Sprache in der deutsch-jüdischen Welt zunehmend überlich, auf der Rückseite. Sogar die jüdischen Symbole der Grabsteine treten in den Hintergrund. Die Krone der Tora, eigentlich ein Zeichen der Bibeltreue und Gelehrsamkeit des Verstorbenen erscheint hier eher wie eine Hommage an das preuBische Königshaus. Die segnenden Hände der Kohanim und die Kanne der Leviten, beides Symbole der Priester sind im aufstrebenden Industriezeitalter zurückgedrängt. Um noch kurz beim Beispiel Essen zu bleiben: Äquivalent dazu ist der Bau der Synagoge zu sehen. ein daminanter repräsentativer Bau entsteht um 1910 im Stadtzentrum gegenüber der tausendjährigen Münsterkirche. Jedoch ist unser Blick wesentlich auf die traditionellen Grabsteine gerichtet, die jüdische Symbole tragen, hebräische Texte tragen. Die Frage ist. Von wem sind sie angefertigt worden. Jüdische Steinmetze konnte es eigentlich nicht gegeben haben, denn Juden wurden ja nicht in die Zünfte aufgenommen. Wie fand also die Herstellung der Steine statt. Bekamen christliche Steinmetze genaue Vorlagen? Inwieweit waren die jüdischen Symbole auf den Grabsteinen von christlichen Bilderwelten beeinflußt? Alles Fragen die kaum geklärt sind. Bei einer anderen Berufsgruppe, bei Goldschmieden, bin ich auf einen Weg gestoßen, wie die Zugehörigkeit zu einer Zunft umgangen wurde. In Halle waren jüdische Goldschmiede an der dortigen Universität als Meisterstudenten eingeschrieben und konnten mit diesem Status arbeiten. Erst sehr spät finden sich individuell gekennzeichnete Bildbauerarbeiten. In unserer Region treten zwei jüdischer Bildhauer mit Grabkunst hervor. Es sind Benno Elkan und Leopold Fleichhacker. Maren Heynes Interesse galt vor allem Leopold Fleichhacker aus Düsseldorf, 1892 in Felsberg geboren. Ungewöhnlich gut gestaltete Grabsteine, die in den Jahrzehnten die Entwicklung des Künstlers aufzeigen und den Friedhöfen in Düsseldorf, Mühlheim, Wuppertal, Duisburg und Mönchen-Gladbach-Wickrath ein ganz eigenes Gesicht geben. Fleischhacker und Elkan waren jüdische Bildhauer, deren wichtigste Schaffensphase in die Zeit des Nationalsozialismus fiel und denen möglichereise deshalb die große Karriere versagt blieb. Begonnen hat der Vortrag mit dem Blick auf das Verbot jüdische Friedhöfe anzulegen, um eine dauerhafte Ansiedlung von Juden zu verhindern. Der Nationalsozialismus hat das deutsche Judentum vertrieben und vernichtet. Die jüdischen Friedhöfe, die den nationalsozialistischen Schändungen entgangen sind, stehen nicht mehr für blühende jüdische Gemeinden, sondern sie sind heute Zeugnisse deutsch-jüdischer Geschichte. Ihre Anlage und die Gestaltung der Grabsteine spiegeln die Entwicklung der jüdischen Gemeinden / Gemeinschaft in der christlichen Mehrheitsgesellschaft über die Jahrhunderte. |
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